«Die Grenzpolizei hat mich verprügelt»
Lilaf Shekho flüchtet alleine aus Aleppo, nachdem der IS ihren Vater umgebracht hat. Die 20-jährige Syrerin steckt jetzt in Idomeni fest und erzählt uns, warum sie dabei ihre Seele verloren hat. – Autorin: Lisa Vogt
Als Lilaf auf uns zukommt, muss sie gestützt werden. Das Knie der jungen Syrerin ist kaputt. Die mazedonische Polizei und Armee haben darauf eingeprügelt, als sie die griechisch-mazedonische Grenze zu passieren versuchte. Zwei Tage lang lag sie deswegen im Spital.
Die 20-Jährige steckt seit über drei Wochen im Flüchtlingslager in Idomeni fest, nachdem sie aus ihrer Heimatstadt Aleppo geflüchtet ist.
«Der IS ermordete meinen Vater»
Lilafs Mutter und acht ihrer Geschwister fanden vor einiger Zeit in der Türkei und in Dänemark Zuflucht. Lilaf, ihr Vater und ein Geschwister blieben in Aleppo. Sie wollte daran glauben, dass sich die Lage in Syrien beruhigt. Auch wenn nichts darauf hinwies. «Jeden Tag sah ich, wie Menschen umgebracht wurden. Es lagen Körperteile von Kindern auf der Strasse», erzählt Lilaf 20 Minuten Tilllate. «Dir wird klar, dass böse Menschen einfach tun können, was sie wollen.»
Eines Tages kam sie nach der Universität nach Hause und fand ihren Vater tot in der Wohnung. Ermordet vom IS. «Das war der absolut schlimmste Tag in meinem Leben», sagt Lilaf mit zittriger Stimme. «Ich hasse den IS.» Sie beginnt zu weinen. Wir legen eine Pause ein.
Keine Unterstützung
Verzweifelt bat die Zahnmedizin-Studentin die Behörden um Hilfe. «Sie sagten mir nur, dass ich alt genug sei, mich um mich selbst zu kümmern», erzählt die junge Syrerin. Sie brach alleine auf, Richtung Türkei. An der Grenze waren die Polizisten brutal. «Sie liessen niemanden durch und haben auf ein Kind geschossen», erinnert sich Lilaf.
In der Türkei haben Flüchtlinge keine Rechte. Ihre Mutter und ihr Bruder sind noch dort und erzählten Lilaf, wie sie schikaniert werden. «Sie arbeiteten einen Monat lang jeden Tag 14 Stunden. Danach wurde ihnen einfach das Geld dafür verweigert. Sie seien ja nur Flüchtlinge dort, lautete die Begründung.» Die 20-Jährige wird wütend. Sie fühlt sich im Stich gelassen.
Was bringt der Frieden?
Sie reiste weiter nach Griechenland und harrt jetzt seit mehr als drei Wochen mit etwa 14’000 anderen Flüchtlingen in Idomeni aus, die wie sie auf die Öffnung der Grenze hoffen. «Die meisten sind mit ihren Familien hier. Ich bin alleine und habe Angst», erzählt Lilaf traurig. Die Lebensumstände in Idomeni sind katastrophal. Erst kürzlich hat sich ein Flüchtling angezündet, um gegen die Schliessung der mazedonischen Grenze zu demonstrieren.
«Bevor ich nach Griechenland kam, war es mein Traum, nach Europa zu kommen, weil dort Frieden herrscht», so Lilaf. Aber jetzt, wo sie die Umstände in Griechenland gesehen hat, träumt sie nur noch davon, nach Hause zu gehen. «Was bringt mir der Frieden, wenn ich dermassen respektlos behandelt werde?» Viele Flüchtlinge erzählen, dass sie lieber zuhause umgekommen wären, als woanders unter diesen Bedingungen zu leben.
Keine Möglichkeit, weiterzuziehen
Für die junge Syrerin geht es momentan weder vor noch zurück. In ihrer Heimat ist die einzige Überlebenschance, sich dem IS anzuschliessen. Ein Schlepper ist zu teuer. Der Fussweg über Mazedonien ist seit der Schliessung der Grenzen gefährlich. Die mazedonische Armee und Polizei greifen die Flüchtlinge systematisch an.
Lilaf hat das am eigenen Leib erlebt. Sie wurde verprügelt und landete im Spital. Andere Flüchtlinge zeigen ihre Bissspuren. Die Polizei lässt Hunde auf die los, die es wagen, mazedonischen Boden zu betreten.
«Habe hier meine Seele verloren»
Das mazedonische Parlament will die Grenze bis mindestens Ende 2016 dicht lassen. «Ich glaube daran, dass es irgendwann einmal eine schöne Zeit für mich geben wird», erzählt Lilaf. «Die Hoffnung ist momentan alles, was ich habe.»
Sollte es in Syrien wieder Frieden geben, will die 20-Jährige zurück nach Aleppo und ihr Studium abschliessen. Sie weiss aber, dass sie einen langen Weg vor sich hat. Sich ein neues Leben aufbauen muss. Dafür will sie hart arbeiten. Auch wenn ihre Flucht Lilaf gezeichnet hat. «In Syrien habe ich meinen Traum verloren, hier meine Seele.»
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