Janine Bleuler ist auf eigene Faust nach Idomeni in Griechenland gereist, um Flüchtlingen zu helfen. Die meiste Zeit verbringt sie hier: Im Küchenzelt. Janine Bleuler ist gelernte Malerin und Quereinsteigerin. Bis vor kurzem war sie als Werbefilm-Produzentin tätig. Die 25-Jährige lebt in Zürich. bild: zvg
«Wenn mich meine Kinder mal fragen, was ich damals für die Flüchtlinge getan habe, will ich nicht ‹Nichts› sagen müssen»
Sie wollte nicht mehr länger nur Zuschauerin sein. Die 25-jährige Zürcherin Janine Bleuler reiste auf eigene Faust nach Idomeni, um den gestrandeten Flüchtlingen zu helfen. Was sie erlebt hat, wird sie so schnell nicht vergessen.
Autorin: Rafaela Roth
Janine, wo bist du gerade?
Janine Bleuler: Ich bin in unserem Haus ein paar Kilometer von Idomeni entfernt. Hier schlafe ich mit zwischen 10 und 15 anderen Volunteers. Gestern war ich im Bett, mich hat eine Grippe erwischt. Ich weiss nicht, ob ich sie im Camp oder sonstwo aufgelesen habe.
Wie ist die Lage im Idomeni-Flüchtlingscamp?
Die Tränengas-Beschüsse der letzten Tage haben die Leute schwer mitgenommen. Am Montagabend kam eine Frau auf mich zu, rief meinen Namen und brach ohnmächtig in meinen Armen zusammen. Vom Baby bis zur Grossmutter hatten alle tränende Augen, einige übergaben sich. Die Mazedonier schossen die Bomben teilweise bis ins Camp hinein. Wir fingen an Zitronen zu schneiden und an die Leute zu verteilen – ungefähr zehn Kilo. Die Schnitze helfen, das Brennen in den Augen zu beruhigen.
«Es gibt so viel zu tun, dass ich mir wünschte, wir wären mehr.»
Das Camp in Idomeni soll geschlossen werden, was halten die Leute davon?
Viele wollen nicht weg und warten immer noch, bis die Grenze zu Mazedonien wieder aufgeht. Ich halte mich zurück, den Menschen zu sagen, dass das wohl nicht passieren wird. Es ist ihre einzige Hoffnung. Andere halten es nicht mehr aus, im Zelt zu schlafen und verlassen das Camp. Sie sollen auf offizielle Camps verteilt werden. Die sind aber auch schon voll. Mir taten vor allem die Kinder leid, die so leben und einer so ungewissen Zukunft entgegenblicken müssen.
Du bist auf eigene Faust aus Zürich nach Idomeni gereist – wie viele andere. Kannst du etwas tun oder steht ihr freiwilligen Helfer euch gegenseitig auf den Füssen rum?
Im Gegenteil. Es gibt so viel zu tun, dass ich mir wünschte, wir wären mehr. Wir schieben 8-Stunden-Schichten im Küchenzelt. Wenn wir mehr wären, könnten wir die Schichten verkürzen und noch andere Dinge tun. Es gibt sehr viel zu tun.
Wie konntest du helfen?
Ich habe schon in der Schweiz mit der Zürcher Borderfree Association Kontakt aufgenommen. In Griechenland angekommen, haben ich und ein Freund von mir uns sofort der Organisation angeschlossen. Ich habe die meiste Zeit im Küchenzelt verbracht. Gemeinsam mit syrischen Flüchtlingen haben wir syrische Gerichte gekocht und pro Mahlzeit rund 2000 Menschen verpflegt.
Die griechische Regierung beschuldigt Helfer immer wieder, illegale Grenzübertritte zu begünstigen. Was sagst du dazu?
Eigentlich kann ich nicht viel dazu sagen. Die Freiwilligen welche ich kenne, ermutigen bestimmt niemanden und sie sind auch sehr zurückhaltend, was das Thema Grenzöffnung angeht. Man will niemandem falsche Hoffnungen machen. Meiner Meinung nach ist es auch nicht die Aufgabe der Helfer, sondern die von Europas Regierungen. Europa muss jetzt endlich handeln.
Janine Bleuler mit Flüchtlingen und Helfern. bild: zvg
Wie kamst du auf die Idee nach Idomeni zu reisen?
Ich wollte nicht länger nur Zuschauerin sein. Wenn mich meine Kinder irgendwann fragen, was ich damals für die Flüchtigen getan habe, wollte ich auf keinen Fall «nichts» sagen müssen. Ich hatte gerade gekündigt und noch keinen neuen Job. Anstatt auf dem Sofa rumzuliegen, wollte ich mich nützlich machen. Ich habe dann einen Freund gefunden, der mit mir kommt. Innerhalb kürzester Zeit hatten wir von Freunden und Verwandten 3000 Franken Spenden zusammen. Die haben wir vor Ort für Essen, Gas und Geschirr und viel weiteres ausgegeben.
Hast du in Idomeni angetroffen, was du erwartet hast?
Ich habe nicht erwartet, seitens der Flüchtlinge auf so viel Zuneigung und Freundlichkeit zu stossen. Sie haben uns richtiggehend verwöhnt und fragten ständig, was sie für uns tun könnten, oder ob sie helfen könnten. Die Menschen hier haben mir wahrscheinlich mehr gegeben, als ich ihnen geben konnte.
Morgen reist du in die Schweiz zurück. Wirst du nach Idomeni zurück gehen?
Auf jeden Fall. Jetzt habe ich erst noch einen kleinen Auftrag in der Schweiz. Danach will ich wieder gehen. Beim Gedanken daran, dass ich einfach meinen roten Pass zücken und reisen kann, während diese Menschen hier festsitzen, wird mir mulmig zumute.
Würdest du anderen empfehlen, auch nach Idomeni zu gehen?
Ja. Jeder, der Zeit hat und sich in der Lage fühlt, sollte jetzt nach Idomeni reisen, um den Flüchtlingen zu helfen. Man kann sich bei einer Organisation melden oder auf eigene Faust gehen. In Polykastro, einem Städtchen in der Nähe von Idomeni, treffen sich täglich Volunteers und Organisationen. Wer neu hinzukommt wird einfach eingeteilt. Es gibt immer zu tun. Vor allem braucht es aber auch Geld, also Spenden.
«Humans of Idomeni»: 18 Botschaften aus dem schlimmsten Flüchtlingslager Europas
Zum originalen Bericht auf watson.ch[:en]
Janine Bleuler ist auf eigene Faust nach Idomeni in Griechenland gereist, um Flüchtlingen zu helfen. Die meiste Zeit verbringt sie hier: Im Küchenzelt. Janine Bleuler ist gelernte Malerin und Quereinsteigerin. Bis vor kurzem war sie als Werbefilm-Produzentin tätig. Die 25-Jährige lebt in Zürich. bild: zvg
«Wenn mich meine Kinder mal fragen, was ich damals für die Flüchtlinge getan habe, will ich nicht ‹Nichts› sagen müssen»
Sie wollte nicht mehr länger nur Zuschauerin sein. Die 25-jährige Zürcherin Janine Bleuler reiste auf eigene Faust nach Idomeni, um den gestrandeten Flüchtlingen zu helfen. Was sie erlebt hat, wird sie so schnell nicht vergessen.
Autorin: Rafaela Roth
Janine, wo bist du gerade?
Janine Bleuler: Ich bin in unserem Haus ein paar Kilometer von Idomeni entfernt. Hier schlafe ich mit zwischen 10 und 15 anderen Volunteers. Gestern war ich im Bett, mich hat eine Grippe erwischt. Ich weiss nicht, ob ich sie im Camp oder sonstwo aufgelesen habe.
Wie ist die Lage im Idomeni-Flüchtlingscamp?
Die Tränengas-Beschüsse der letzten Tage haben die Leute schwer mitgenommen. Am Montagabend kam eine Frau auf mich zu, rief meinen Namen und brach ohnmächtig in meinen Armen zusammen. Vom Baby bis zur Grossmutter hatten alle tränende Augen, einige übergaben sich. Die Mazedonier schossen die Bomben teilweise bis ins Camp hinein. Wir fingen an Zitronen zu schneiden und an die Leute zu verteilen – ungefähr zehn Kilo. Die Schnitze helfen, das Brennen in den Augen zu beruhigen.
«Es gibt so viel zu tun, dass ich mir wünschte, wir wären mehr.»
Das Camp in Idomeni soll geschlossen werden, was halten die Leute davon?
Viele wollen nicht weg und warten immer noch, bis die Grenze zu Mazedonien wieder aufgeht. Ich halte mich zurück, den Menschen zu sagen, dass das wohl nicht passieren wird. Es ist ihre einzige Hoffnung. Andere halten es nicht mehr aus, im Zelt zu schlafen und verlassen das Camp. Sie sollen auf offizielle Camps verteilt werden. Die sind aber auch schon voll. Mir taten vor allem die Kinder leid, die so leben und einer so ungewissen Zukunft entgegenblicken müssen.
Du bist auf eigene Faust aus Zürich nach Idomeni gereist – wie viele andere. Kannst du etwas tun oder steht ihr freiwilligen Helfer euch gegenseitig auf den Füssen rum?
Im Gegenteil. Es gibt so viel zu tun, dass ich mir wünschte, wir wären mehr. Wir schieben 8-Stunden-Schichten im Küchenzelt. Wenn wir mehr wären, könnten wir die Schichten verkürzen und noch andere Dinge tun. Es gibt sehr viel zu tun.
Wie konntest du helfen?
Ich habe schon in der Schweiz mit der Zürcher Borderfree Association Kontakt aufgenommen. In Griechenland angekommen, haben ich und ein Freund von mir uns sofort der Organisation angeschlossen. Ich habe die meiste Zeit im Küchenzelt verbracht. Gemeinsam mit syrischen Flüchtlingen haben wir syrische Gerichte gekocht und pro Mahlzeit rund 2000 Menschen verpflegt.
Die griechische Regierung beschuldigt Helfer immer wieder, illegale Grenzübertritte zu begünstigen. Was sagst du dazu?
Eigentlich kann ich nicht viel dazu sagen. Die Freiwilligen welche ich kenne, ermutigen bestimmt niemanden und sie sind auch sehr zurückhaltend, was das Thema Grenzöffnung angeht. Man will niemandem falsche Hoffnungen machen. Meiner Meinung nach ist es auch nicht die Aufgabe der Helfer, sondern die von Europas Regierungen. Europa muss jetzt endlich handeln.
Janine Bleuler mit Flüchtlingen und Helfern. bild: zvg
Wie kamst du auf die Idee nach Idomeni zu reisen?
Ich wollte nicht länger nur Zuschauerin sein. Wenn mich meine Kinder irgendwann fragen, was ich damals für die Flüchtigen getan habe, wollte ich auf keinen Fall «nichts» sagen müssen. Ich hatte gerade gekündigt und noch keinen neuen Job. Anstatt auf dem Sofa rumzuliegen, wollte ich mich nützlich machen. Ich habe dann einen Freund gefunden, der mit mir kommt. Innerhalb kürzester Zeit hatten wir von Freunden und Verwandten 3000 Franken Spenden zusammen. Die haben wir vor Ort für Essen, Gas und Geschirr und viel weiteres ausgegeben.
Hast du in Idomeni angetroffen, was du erwartet hast?
Ich habe nicht erwartet, seitens der Flüchtlinge auf so viel Zuneigung und Freundlichkeit zu stossen. Sie haben uns richtiggehend verwöhnt und fragten ständig, was sie für uns tun könnten, oder ob sie helfen könnten. Die Menschen hier haben mir wahrscheinlich mehr gegeben, als ich ihnen geben konnte.
Morgen reist du in die Schweiz zurück. Wirst du nach Idomeni zurück gehen?
Auf jeden Fall. Jetzt habe ich erst noch einen kleinen Auftrag in der Schweiz. Danach will ich wieder gehen. Beim Gedanken daran, dass ich einfach meinen roten Pass zücken und reisen kann, während diese Menschen hier festsitzen, wird mir mulmig zumute.
Würdest du anderen empfehlen, auch nach Idomeni zu gehen?
Ja. Jeder, der Zeit hat und sich in der Lage fühlt, sollte jetzt nach Idomeni reisen, um den Flüchtlingen zu helfen. Man kann sich bei einer Organisation melden oder auf eigene Faust gehen. In Polykastro, einem Städtchen in der Nähe von Idomeni, treffen sich täglich Volunteers und Organisationen. Wer neu hinzukommt wird einfach eingeteilt. Es gibt immer zu tun. Vor allem braucht es aber auch Geld, also Spenden.
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