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Plötzlich liegt da ein Baby am Boden

von Zora Schaad, Preševo – In Serbien warten tausende Flüchtlinge auf ihre Weiterreise. Die Stadt Preševo ist einer der Brennpunkte der Balkanroute. Eine Schweizerin ist mittendrin.

Eine Strasse beim Busbahnhof in Preševo, Serbien, mitten in der Nacht: Seit Stunden warten hunderte Flüchtlinge in abgesperrten Sektoren darauf, in der Warteschlange ein Stück weiter zur Registrierungsstelle vorzurücken. Dort erhalten sie ein Papier, das ihren Aufenthalt im Land bescheinigt. Ohne das Papier ist die Weiterreise illegal.

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„Endlich im Bus: In einer rund achtstündigen Fahrt werden die Flüchtlinge für 35 Euro an die kroatische Grenze gebracht. In der Wärme zu sitzen und zu schlafen – darauf haben sich die Menschen seit Stunden gefreut.“

Es sind Gruppen junger Männer, Familien, Alte und Kranke. Die meisten kommen aus Syrien und Afghanistan, viele sind vor dem Krieg über das Mittelmeer geflohen. «Die schlimmsten Stunden meines Lebens», erzählt mir Ahmet. Endlich öffnet ein Polizist ein Gitter, die Gruppe kann einen Sektor vorrücken.

03„Sie haben es schon fast geschafft: Diese Flüchtlinge stehen im letzten Sektor vor der Registrierungsstelle. Sobald das Gitter geöffnet wird, erhalten Sie warmes Essen, Kleidung, Strom für ihr Handy – und das offizielle Papier, das ihnen die Weiterreise in Europa ermöglicht.“

Kälte, Hunger, kein Geld

Einige Männer rennen los, reissen andere mit. Panik kommt auf, manche fallen hin. Die Polizisten am Rand schreien und zücken ihre Schlagstöcke. Auch ich rufe den Leuten zu, ruhig zu bleiben. Wie alle Freiwilligen trage ich eine gelbe Warnweste und bin hierhergekommen, um die Situation in Preševo für die Flüchtlinge erträglicher zu machen.

02„Kurz nach der Dämmerung erreichen die ersten Sonnenstrahlen die staubige Strasse. Die Kälte ist eine riesige Belastung für die Wartenden.“

Nach einigen Minuten hat sich die Masse beruhigt, die Leute warten ruhig hinter den Absperrungen. «Wie geht es euch?», frage ich sie. «Gut!», rufen sie. Dass dies nicht stimmt, ist offensichtlich. Viele schlottern, andere haben ihre Familien auf der Flucht verloren, Dritte haben nicht genug Geld, um die Weiterreise mit dem Bus zu bezahlen.

06„Der Anfang der Warteschlange im Morgengrauen. Nach einer harten Nacht ist der Boden verschmutzt, Hunde streunen herum. Den Neuankömmlingen hinter den Absperrungen stehen mehrere Stunden Wartezeit bevor.“

Auch Hunger ist ein Thema: «Gestern habe ich in Mazedonien einen Apfel gegessen», erzählt mir Djemal aus Syrien. «Das war meine letzte Mahlzeit.» Ich verteile gesüssten Tee und Snacks. Essen zu kochen wurde uns von den Behörden aus hygienischen Gründen verboten.

08„Eine Helferin verteilt Lollis an Kinder, die beim Busbahnhof auf die Abfahrt nach Kroatien warten.“

Helfer müssen sparsam sein

Es ist dunkel, alles ist schmutzig und vor allem ist es sehr kalt. Die Ärzte von Médecins sans Frontières (MSF) behandeln in der Warteschlange viele Menschen wegen Unterkühlung. Ansonsten sind ausser den rund 30 freiwilligen Helfern aus der ganzen Welt keine Organisationen anwesend, um die bis zu 10‘000 Flüchtlinge täglich in der Warteschlange zu betreuen. Erst im Registrierungsbereich verteilen Hilfsorganisationen Essen und Kleider.

04„Wer eine hat, wickelt sich in eine Decke. Aber auch unter dem Wolltuch schlottern die Kinder weiter.“

Die Mediziner von MSF raten uns dringend, Kleider und Decken abzugeben. Doch wir haben zu wenige für alle – und müssen sparsam sein. «Das ist für Notfälle, wenn es wirklich um das Überleben der Menschen geht. Stell dir vor, es regnet oder schneit, dann brauchen wir plötzlich Riesenmengen», erklärt mir Lea, die schon länger als Freiwillige in Preševo mit anpackt.

05„Wohin die Reise gehen mag? Viele nennen Deutschland und Skandinavien als Ziel. Dieses Kind geht, wohin sein Vater und seine kleinen Füsse es tragen.“

Wo ist die Mutter?

Gina, eine junge Schweizer Helferin aus meiner Gruppe, findet plötzlich ein Baby am Boden. In eine Decke gewickelt, liegt es da, seine Eltern haben es im Tumult verloren. Über Funk informieren wir die anderen Helfer.

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„Mit Seifenblasen versuche ich, den Kindern die Wartezeit zu verkürzen und erschöpften Gesichtern ein kleines Lächeln zu entlocken. Obwohl sie stundenlang in der Kälte ausharren mussten, quengeln die Kinder kaum.“

Gemeinsam gehen wir die lange Warteschlange ab, suchen nach der Mutter. Endlich finden wir die verzweifelte Frau. Die Erleichterung ist riesig. Es sind Momente, die auch uns Helfern nahegehen und uns bestärken, weiterzumachen.

Unbenannt-10„Nach einer durchwachten Nacht sind auch wir Helfer erschöpft. In einem Haus – einer halben Baustelle noch – rollen wir auf dem Boden unsere Schlafsäcke aus. Die Toilette ist unbenutzbar, eine Waschgelegenheit gibt es nicht, elektrische Heizungen müssen wir erst kaufen. Nach dem, was wir draussen gesehen haben, sind unsere Entbehrungen nicht der Rede wert.“

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