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*Bericht einer Volontärin aus Presevo und Idomeni*

Sie hat eine Woche vor Ort verbracht. Zuerst in Presevo, wo zwischenzeitlich durch die geschlossen Grenzen weniger Flüchtlinge waren. Gerade heute erreicht uns aber auch die Nachricht, dass es wieder mehr werden, im Moment sind gut 100 Menschen vor Ort. Wir werden sehen, wie sich die Situation entwickelt und reagieren immer wieder auf die neuen Gegebenheiten..

Danke dir, für deinen Einsatz für die Menschen auf der Flucht!

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„Reisebericht Presevo – Idomeni
Reisedatum: Freitag 29.04.16 – Freitag 06.05.16

Nachdem ich das Flüchtlingsdrama schon seit längerem medial verfolgt habe, entschloss ich mich dazu, mich endlich selbst zu engagieren. Die Schweizer Hilfsorganisation Borderfree erschien mir dabei die richtige Adresse zu sein, zu welcher ich über eine Kleiderspende in Kontakt kam. Unkompliziert und zuverlässig bekam ich schnell Antwort und Zustimmung auf meine Anfrage für eine Woche zu helfen. So buchte ich einen Flug von Zürich nach Skopje.

Tag 1
Der Ort Preševo erschien mir geisterhaft. So viele Straßenhunde, Katzen im Mülleimer und überhaupt – überall lag Müll. Es gibt dort einige kleine Läden, was man dort kaufen kann: Chips, Kekse, Softgetränke und Alkohol. Etwas anderes war kaum zu finden.
Die Koordinatorin zeigte mir dann gleich eine Gruppe von gerade eingetroffenen Flüchtlingen, die vor dem Registrierungszelt warteten. Von den 30 Angekommenen, fast alles junge Männer – die Schuhe total ausgetreten, die Blicke traurig. Was diese wohl die letzten Tage durchgemacht hatten?

Tag 2
Eine Volontärin fragte mich ob ich mit auf den Markt in Preševo komme. Ich war neugierig und ging mit. Was mich dort erwartete war typisches Balkangetümmel: Obst, Früchte, Schuhe, kleine Küken, Fernseher… Alles war auf diesem Markt zu finden. In dem Getümmel vernahmen wir plötzlich eine Stimme „Salli zäme“ – die Leute schienen schon von weitem zu sehen, dass wir aus der Schweiz bzw. Deutschland waren. Das Kaffee an dem wir vorbeigingen, war fast ausschließlich von einheimischen Männern besetzt, die neugierig aus dem Fenster schauten, als sie uns sahen. Ein großer Teil der Menschen in Preševo ist leider arbeitslos.

Als ich wieder im Camp angekommen war, bemerkte ich, dass es für mich leider kaum etwas zu tun gab. So überlegte ich, dass ich mir weiter nach Idomeni fahren würde. Kurz vor Mitternacht, verließ ich den Container um das WC aufzusuchen, eigentlich wollte ich bald schlafen gehen. Doch als ich nach draußen blickte, sah ich eine lange Schlange von über 30 Flüchtlingen. Sie waren total ausgehungert und seit 3 Tagen unterwegs. Da keine andere Hilfsorganisation mehr zu Ort war, außer MSF, beschlossen wir schnell etwas für die Männer zu kochen. Pasta mit Tomatensauce und Eier waren schnell zubereitet. Bei der Essensausgabe mussten wir aufpassen, dass uns das Essen nicht von allen Seiten aus der Hand gerissen wurde. Nach kurzer Zeit und großer Bemühungen einer Volontärin befanden sich die Männer in einer Schlange und jeder nahm seinen Teller. Da alles in kürzester Zeit weggegessen war, beschlossen wir schnell nochmals zu kochen. Nach der zweiten und dritten Portion waren dann alle satt. Die Füße wurden von einer jungen Ärztin behandelt. Die Männer rochen nach Schweiß, Dreck, nasser Kleidung. So eine illegale Reise musste sehr anstrengend sein. Schon in wenigen Tagen machten sich diese auf die Weiterreise Richtung Norden. Was sie an der Grenze nach Ungarn wohl erwartete?

Tag 3
Die Situation im Camp war heute sehr ruhig. Ich würde gerne mehr tun, aber es gab nur wenige Aufgaben. So vertrieben wir uns die Zeit mit Musikhören im Container und anderem Zeitvertreib.
Am Nachmittag spielte ich ein wenig Fußball und Volleyball mit einem 10-jährigen Jungen. Als einer der wenigen Kinder im Camp, war er froh darüber eine Beschäftigung zu haben. Er war der Neffe von unserem Koch, der aus Syrien geflüchtet ist. Der Rest der Familie sitzt in der Türkei fest. Es ist nicht einfach für ihn, seine Familie ist seit kurzem nicht mehr per Handy zu erreichen.

Tag 4
Heute habe ich mit einer Volontärin das umliegende Dorf angeschaut. Auf unserem Weg haben wir zwei Moscheen gesehen, es gibt in der hauptsächlich von Albanern besiedelte Stadt aber mehr als fünf. Wir haben sehr viel Zeit und es werden von Tag zu Tag weniger Flüchtlinge, da die meisten weiterreisen. Es gibt nur noch vierzig im Camp und auch diese werden bald nicht mehr da sein.

Tag 5
Heute geht es weiter nach Idomeni. Am Flughafen in Skopje angekommen, haben wir schnell ein Auto gemietet und fuhren direkt weiter nach Griechenland. Die Fahrt ist sehr schön, die Landschaft hügelig und grün, kaum Menschen hier, die Straße ist frei. Hinter der griechischen Grenze erwartet uns ein aufwühlender Anblick. Auf der ersten Tankstelle stehen überall Zelte, auch das Hilfswerk UNHCR ist hier. Die Flüchtlinge laufen an der Autobahn entlang. Nicht weit von hier liegt Idomeni. Auf der Suche nach unserem Borderfree-Zelt, verfuhren wir uns auf dem Camp. Die kleine Zeltstadt wirkt auf den ersten Blick wie ein Festival, auf den zweiten Blick offenbart sich das Leid und die fatalen Umstände der dort Lebenden. Kinder greifen durch das offene Fenster des Autos, immer mehr Leute befinden sich auf dem Weg vor uns. Es wird uns mulmig zumute, wir beschließen zu wenden. Am Straßenrand parken wir das Auto, und laufen nun zu Fuß zum Borderfree-Zelt.
Ein Friseur steht an der Ecke, sie erlauben mir ein Foto zu schießen danach laufen wir Richtung Bahngleise. Der Alte Bahnhof ist nun umgeben von Zelten, überall Kinder auf den Wegen, die uns neugierig anschauen. Ein unangenehmer Geruch kommt uns entgegen, der Weg ist schlammig, rechts von uns die Dixi-Toiletten. Die Menschen sitzen in den Zelten und Kochen mit Feuer ihre Speisen.

Das Borderfree-Zelt steht direkt hinter dem Bahnhof. Gerade findet die Essensausgabe statt. Eine große Schlange bildet sich hinter dem Zelt, die Menschen stehen an für eine warme Mahlzeit. Nebenan ein Zug in dem viele Menschen eine provisorische Unterkunft gefunden haben. In den Zelten sehen wir Frauen, Kinder und auch kleine Babys – eines ist erst 4 Wochen alt, auf dem Camp geboren. Die Volontäre erzählen uns von Auseinandersetzungen, die hier regelmäßig stattfinden – die Nationalitäten sind unterschiedlich: Syrien, Iran, Afghanistan, Pakistan. Eine junge Frau berichtet von einem Mann, der sich gerade erhängen wollte. Er wurde noch rechtzeitig von seinen Freunden abgehalten. Es ist kaum vorzustellen, was die Menschen hier durchmachen müssen.
Bevor es dunkel wird, fahren wir zurück zu unserer Unterkunft – zwei Stunden auf dem Camp fühlen sich an wie fünf, soviel erlebt und sieht man dort in kürzester Zeit. Ein langer Tag geht zu Ende.

Tag 6
Heute soll eine neue Schule von Borderfree eingerichtet werden. Das Zelt wurde gestern aufgebaut, viele Spielsachen, Stifte und Tafeln gekauft. Ich bin gespannt, möchte auch mithelfen. Doch es dauert alles länger als gedacht. Erst müssen die Palletten für den Boden abgeholt und verschraubt werden. Danach eine nächste Schicht, damit der Boden ebenmäßig wird. Nun am Nachmittag beginnen wir mit dem Einrichten, einige Flüchtlinge, auch ein kleines Mädchen, hilft mit beim Zusammenbauen der Möbel und beim Einrichten mit verschiedenen Spielsachen. Die Kinder warten gespannt vor dem Eingang, sie freuen sich schon sehr – warten aufgeregt seit Stunden, wann die neue Schule, die eher einem Spielzelt gleicht, eröffnen wird.

Als alles fertig ist, öffnen wir den Eingang, die Kinder stürmen herein, greifen sich das, was sie als erstes sehen. Es werden immer mehr und es wird immer enger. Als die Kinder auf die Idee kommen die Musikinstrumente auszupacken und wie wild auf ihnen herumspielen, beschließe ich das Spektakel von außen zu betrachten. Dort stehen fast alle Erwachsenen und begutachten das bunte Treiben. Nach etwa einer Stunde beschließen die beiden Projektleiter das Zelt für heute zu schließen. Die Einweihung hat stattgefunden, die Kinder konnten für einen kurzen Moment alles vergessen, und durften einfach mal Kind sein.
Ein Mann übernachtet im Zelt um auf die Spielsachen aufzupassen. Gerne wäre ich noch ein paar Tage hier und würde Englischunterricht geben. Leider werde ich morgen schon wieder abreisen müssen.

Tag 7
Früh morgens stehe ich auf und fahre mit zwei anderen Volontären ein letztes Mal zum Camp. Unterwegs holen wir über zwölf Lagen gekochte Eier ab und fahren diese zum Camp. Kurz davor hält uns die Polizei an und verlangt unsere Pässe. Da ich nur einen ID besitze und keinen Reisepass wie empfohlen, habe ich Angst dass sie mich an meiner Weiterfahrt zum Flughafen hindern. Es ist nicht der Fall, wir werden nach ein paar Minuten weitergelassen. Ich nehme innerlich Abschied von dem Camp, die kurze Zeit in Idomeni hat mir sehr viele Einblicke in das Leben und die Nöte der Flüchtlinge gegeben. Ich habe vor wiederzukommen.“

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