Zu Fuss in vier Tagen durch Mazedonien»
Die Zugerin Rabija Efendic kümmert sich über Weihnachten um Flüchtlinge in Serbien – als freiwillige Helferin des Zürcher Vereins Borderfree. In einem Tagebuch hält sie fest, was sie in Preševo erlebt.
Einige sind schnell unterwegs. So der Vater, der Frau und Kinder an einen sicheren Ort bringen will. Die Kinder haben es jedoch nicht eilig. Während die Eltern in unseren Zelten gespannt auf den Zug warten, spielen die Kinder draussen Fussball, mit Seifenblasen oder Hunden.
Ein Syrer erzählt mir, wie er zu Fuss in vier Tagen ganz Mazedonien durchquert hatte. Alles der Autobahn entlang, damit er sich nicht verirrt. Er war mit nichts unterwegs ausser seinen Papieren. Denn schon in Griechenland wurde er ausgeraubt. Solche Geschichten machen mich wütend und fassungslos.
Er wollte sich nur kurz bei uns ausruhen und danach gleich weitergehen. Bis nach Deutschland zu seinen Verwandten. Ich hätte es nicht übers Herz gebracht, ihn so ziehen zu lassen. Schliesslich besorgte ich ihm ein Ticket und begleitete ihn auf den Zug . Nun warte ich gespannt auf seine Nachricht, dass er heil und glücklich bei seiner Familie angekommen ist.
Andere schaffen es nicht, im Eiltempo ans Ziel zu gelangen, sie müssen stattdessen wie Sisyphus immer neue Anläufe nehmen. Eine Familie ist seit zwei Monaten untwergs nach Europa, weil sie immer wieder zurückgeschickt wurde. Trotzdem bringen sie noch die Kraft auf, zu lachen und viel Wärme zu vermitteln.
Meine Erwartungen an unseren Standort mitten im Geschehen wurden übertroffen. Zwar hat man ab und zu mit den Behörden zu kämpfen. Doch mit den richtigen Worten lassen sich Probleme regeln – dafür liebe ich den Balkan. Angenehm überrascht hat mich hingegen die positive Einstellung, die Einheimische oder andere Organisationen uns gegenüber zeigen.
Abgesehen von einer Erkältung hat mein Körper bisher einwandfrei funktioniert. Egal ob ich bis sechs Uhr morgens auf den Beinen bin oder mit zwei Stunden Schlaf auskommen muss – physisch verkrafte ich die Arbeit hier gut.
Auf psychischer Ebene werde ich die Erfahrungen und Eindrücke, die ich hier vor Ort sammle, erst richtig ordnen können werde, wenn ich wieder zu Hause bin.
Die Erlebnisse und Ziele, die mir die Flüchtlinge anvertrauen, verursachen in mir eine Achterbahn der Gefühle. Sie verlangen nicht von mir, dass ich mich in Ihre Lage versetze. Es geht ihnen einzig darum jemandem ihre Geschichte erzählen zu können, ihren Frust rauszulassen oder eine Schulter zum Ausweinen zu haben. Wenn sie mir von ihren Träumen erzählen, in welchem Land oder in welcher Stadt sie gerne ein neues Leben anfangen möchten, werde ich oft nach meiner Meinung dazu gefragt. Aber wie soll ich denn wissen, wo es ihnen am besten gehen wird? Am schönsten ist es doch im eigenen Zuhause.
Rabija Efendic (24) ist Kundenberaterin und lebt in Baar (ZG). Sie ist eine von vielen freiwilligen Helfern, die sich mit dem Zürcher Verein Borderfree für Flüchtlinge einsetzen.www.facebook.com/borderfreeassociation (Berner Zeitung)
(Erstellt: 27.12.2015, 19:14 Uhr)
Gehe zu Berner Zeitung, Original-Bericht
Zu Fuss in vier Tagen durch Mazedonien»
Die Zugerin Rabija Efendic kümmert sich über Weihnachten um Flüchtlinge in Serbien – als freiwillige Helferin des Zürcher Vereins Borderfree. In einem Tagebuch hält sie fest, was sie in Preševo erlebt.
Einige sind schnell unterwegs. So der Vater, der Frau und Kinder an einen sicheren Ort bringen will. Die Kinder haben es jedoch nicht eilig. Während die Eltern in unseren Zelten gespannt auf den Zug warten, spielen die Kinder draussen Fussball, mit Seifenblasen oder Hunden.
Ein Syrer erzählt mir, wie er zu Fuss in vier Tagen ganz Mazedonien durchquert hatte. Alles der Autobahn entlang, damit er sich nicht verirrt. Er war mit nichts unterwegs ausser seinen Papieren. Denn schon in Griechenland wurde er ausgeraubt. Solche Geschichten machen mich wütend und fassungslos.
Er wollte sich nur kurz bei uns ausruhen und danach gleich weitergehen. Bis nach Deutschland zu seinen Verwandten. Ich hätte es nicht übers Herz gebracht, ihn so ziehen zu lassen. Schliesslich besorgte ich ihm ein Ticket und begleitete ihn auf den Zug . Nun warte ich gespannt auf seine Nachricht, dass er heil und glücklich bei seiner Familie angekommen ist.
Andere schaffen es nicht, im Eiltempo ans Ziel zu gelangen, sie müssen stattdessen wie Sisyphus immer neue Anläufe nehmen. Eine Familie ist seit zwei Monaten untwergs nach Europa, weil sie immer wieder zurückgeschickt wurde. Trotzdem bringen sie noch die Kraft auf, zu lachen und viel Wärme zu vermitteln.
Meine Erwartungen an unseren Standort mitten im Geschehen wurden übertroffen. Zwar hat man ab und zu mit den Behörden zu kämpfen. Doch mit den richtigen Worten lassen sich Probleme regeln – dafür liebe ich den Balkan. Angenehm überrascht hat mich hingegen die positive Einstellung, die Einheimische oder andere Organisationen uns gegenüber zeigen.
Abgesehen von einer Erkältung hat mein Körper bisher einwandfrei funktioniert. Egal ob ich bis sechs Uhr morgens auf den Beinen bin oder mit zwei Stunden Schlaf auskommen muss – physisch verkrafte ich die Arbeit hier gut.
Auf psychischer Ebene werde ich die Erfahrungen und Eindrücke, die ich hier vor Ort sammle, erst richtig ordnen können werde, wenn ich wieder zu Hause bin.
Die Erlebnisse und Ziele, die mir die Flüchtlinge anvertrauen, verursachen in mir eine Achterbahn der Gefühle. Sie verlangen nicht von mir, dass ich mich in Ihre Lage versetze. Es geht ihnen einzig darum jemandem ihre Geschichte erzählen zu können, ihren Frust rauszulassen oder eine Schulter zum Ausweinen zu haben. Wenn sie mir von ihren Träumen erzählen, in welchem Land oder in welcher Stadt sie gerne ein neues Leben anfangen möchten, werde ich oft nach meiner Meinung dazu gefragt. Aber wie soll ich denn wissen, wo es ihnen am besten gehen wird? Am schönsten ist es doch im eigenen Zuhause.
Rabija Efendic (24) ist Kundenberaterin und lebt in Baar (ZG). Sie ist eine von vielen freiwilligen Helfern, die sich mit dem Zürcher Verein Borderfree für Flüchtlinge einsetzen.www.facebook.com/borderfreeassociation (Berner Zeitung)
(Erstellt: 27.12.2015, 19:14 Uhr)
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