Bericht von Dominik, Borderfree-Freiwilliger in Presevo, Bujanovac und Vranje:
„One question“, schreibt mir Alia*, 16 Jahre alt. Sie ist zusammen mit ihren sechs Geschwistern und ihrer Mutter in Mailand. Morgen brechen sie zusammen die letzte Etappe ihrer langen Flucht aus Afghanistan an. „When will they give us a house?“, fragt mich Alia.
Vor einigen Wochen noch war Alia in einem Camp in Südserbien. Sie kam zu mir in den Deutschunterricht und war eine fleissige Schülerin. Schon damals erzählte sie von ihrem Traum, in der Schweiz zu leben und zu studieren. Dann wie auch jetzt, wusste ich nicht, wie ich darauf reagieren sollte.
Und dies geschieht nicht zum ersten Mal. Denn manchmal erscheint mir das Camp in Presevo wie eine gigantische Glocke aus Träumen. Niemand will dauerhaft in einem Camp bleiben. Alle haben sie ihre Ziele. Ahriman will nach Schweden, Ali nach Finnland, Madina nach Deutschland, Alia in die Schweiz. Sie fragen sich, wie es in diesem Land sein wird und was man alles machen könnte, was sie bis anhin nicht machen konnten. Sie fragen sich, wie Freiheit sich anfühlt. Wer im Camp lebt, hat Monate lang Zeit, die Bilder im Kopf in allen Farben und Grössen auszumalen.
Hoffnung ist wichtig. Sie ist der Antrieb zum Überleben. Gleichzeitig kann sie Enttäuschung mit sich bringen. Denn so bunt wie Alias Bilder sind, ist die Realität nicht immer. Doch die Devise von Borderfree Association ist klar: Es ist in keiner Weise die Aufgabe von Volontären, die Flüchtenden über die rechtliche Situation, über Asylverfahren oder die Situation in der Schweiz zu informieren. Warum? Weil wir selber keine Ahnung haben. Weil sich die Regeln immer mal wieder ändern.
Die Anweisung von Borderfree Association ist zweifellos richtig und wichtig. Und doch halte ich es manchmal kaum aus, nichts zu sagen, wenn Flüchtende von ihren Träumen erzählen. Ich habe längst aufgehört, nach der Zieldestination zu fragen. Weil ich weiss, dass fast jedes Gespräch für mich in einem Dilemma endet. Ich will niemandem die Hoffnung nehmen. Aber ich will auch nicht schweigen und so die falsche Hoffnung festigen.
Ob Alia und ihre Familie es in die Schweiz geschafft haben, weiss ich nicht. Doch ich hoffe bald von ihr zu lesen. Auch wenn wir nicht immer auf alles antworten können, hören wir zu, denn unser Herz ist grenzenlos.
(*Alia ist nicht ihr richtiger Name)
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