Essensrationen verteilen an der Grenze in Preševo, initiiert von privaten Organisationen.
An der Grenze
Im Süden Serbiens kommen täglich 2000 Flüchtlinge an. Zwei Zürcherinnen wollen helfen. Direkt und vor Ort. Ein Tagebuch. – Fotos: David Sarasin
Redaktor / Autor: David Sarasin, Tages-Anzeiger
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Sie würden dort einspringen, wo Behörden vor Ort versagten. Das sagen Sonia Bischoff und Vanja Crnojevic, beide im Vorstand der privaten Zürcher Initiative Borderfree Association. Ziel ihrer Reise in den Süden Serbiens: Zelte aufstellen, um den Menschen in den Schlangen Schutz zu bieten. Ein Haus für Helfer ist bereits gemietet, noch fehlen darin die Betten. Zudem wollen Bischof und Crnojevic Kontakte zu Helfern vor Ort knüpfen. Wir begleiten sie auf ihrer Reise ins Krisengebiet.
Tag 1: Dienstag, 19 Uhr
T-Shirts und Spenden
Ein Büroraum an der Zentralstrasse, Neonlicht, Schultische, Flipchart. Die Frauen des Vereins Borderfree Association treffen sich zum letzten Mal vor der Reise. Es geht zunächst um Vereinskram wie Mitgliederbeiträge und den anstehenden T-Shirt-Verkauf. Dann wird die Reise nach Preševo im Süden Serbiens behandelt. Die Situation vor Ort sei schwierig, sagt Crnojevic, sie war vor drei Wochen bereits im Grenzgebiet Mazedonien/Serbien. Die Camps seien überfüllt, die Helfer überfordert, sagt sie. «Und es gibt Schlepper.»
Tag 2: Freitag, 12 Uhr
Am Flughafen
«Ich mache die Dinge ohne nachzudenken, sonst würde ich es gar nicht machen», sagt Vanja Crnojevic am Flughafen Zürich. Nach zwei Stunden Flug sind wir in Skopje, Mazedonien. Bei unserer Ankunft fällt eine Werbung von Air Pristina, auf, darauf der St. Peter und die Zürcher Altstadt. «Jetzt seid ihr die Ausländer», sagt Crnojevic. Ein lokaler Helfer holt uns am Flughafen ab. Nach rund 30Minuten Fahrt auf der Autobahn erreichen wir Preševo, Serbien.
Tag 2: Freitag, 14 Uhr
Im Büro der lokalen Helfer
Kurz nach der Autobahnabfahrt werden die Strassen schlecht. Man sagt, die 30’000 Einwohner Preševos leben weitgehend von Geldern ihrer Verwandten in der Schweiz. Was auffällt: Die Leute hier sind bewandert in Schweizer Geografie. Sargans, Stallikon, Bassersdorf, Ziegelbrücke, alles bekannt. Viele sprechen Brockenweise Dialekt. Nach zahlreichen umkurvten Schlaglöchern landen wir vor einem Pub. Es ist freundlich eingerichtet und erinnert mit seiner Holzauskleidung an ein Chalet. Im Restaurant treffen wir auf drei lokale Helfer von Youth for Refugees, sie sind Teil einer Gruppe aus rund 30 ansässigen freiwilligen Helfern. In ihrem Büro auf der anderen Strassenseite stapeln sich mehrere Tausend Decken, gespendet von der UNHCR.
Täglich fährt die Gruppe zu den Hotspots, an die sechs Kilometer entfernt liegende Grenze, oder zur Registrationsstelle beim Busbahnhof etwas ausserhalb des Ortes. Dort verteilen sie Decken und Essen, begrüssen die Flüchtlinge und leiten sie notfalls an einen Arzt weiter. Die Zürcherin Bischoff ist sich nach der Diskussion mit den Helfern sicher, in Youth for Refugees die richtigen Partner gefunden zu haben. Der Knackpunkt: Die Gruppe möchte demonstrieren, nicht korrupt zu sein – und nimmt daher kein Geld an. Argon, ein studierter Grafikdesigner aus Preševo, sagt: «Seit hier Flüchtlingskrise herrscht, sitzen wir weniger rum und trinken auch weniger Bier.» Mehr noch, die Leute hier scheinen gut organisiert. 80 Prozent der rund 30’000 Menschen in Preševo sind arbeitslos, viele von ihnen sind vor 15 Jahren vor den Bomben der Nato geflüchtet.
Tag 2: Freitag, 15 Uhr
Beim Stadtpräsidenten
Das Treffen mit dem Gemeindepräsidenten Ragmi Mustafa steht an. Er ist der Cousin des grössten Investors in der Gegend, informiert man uns später. Mustafa beklagt sich, dass es generell an Infrastruktur fehle, um den Flüchtlingen zu helfen, und dass seine ganze Geldreserve aufgebraucht sei. In einem von ihm verfassten Bittbrief an die UNO sind zudem fehlende Wasserpumpen, Abfallcontainer und Müllwagen aufgeführt. Man ahnt die Zustände im Camp beim Busbahnhof, wo täglich 1000 Flüchtlinge durchgeschleust werden. Crnojevic spricht den Stadtpräsidenten auf ihr Vorhaben an, ein Zelt zu bauen. Er könne das nicht selber entscheiden, sagt er, was sich später als falsch herausstellt. «Wir sollten ihn jetzt unter Druck setzen», meint Bischoff. Von Leuten im Pub erfahren wir später, dass zwar Geld aus Belgrad fliesse, aber im aufgeblasenen bürokratischen Apparat oder sonst wo versickert. Andere wiederum sagen: Die serbische Regierung untersagt der hauptsächlich von Albanern besiedelten Region im Süden die Hilfe. Die Lage ist verworren.
Tag 2: Freitag, 17 Uhr
Hilfe an der Grenze
Crnojevic ist mit einem Helferzug unterwegs an die Grenze. In den Strassengräben sammelt sich der Müll, Busse verkehren im Sekundentakt. Die Fahrer warteten darauf, die ankommenden Flüchtlinge die wenigen Kilometer bis nach Preševo zu fahren. Bis zu 40 Euro knüpfen sie den Gestrandeten für die sechs Kilometer ab. Auch Privatpersonen sind mit ihren Fahrzeugen vor Ort, sie wittern ebenfalls ein Geschäft. Nicht selten würden die Flüchtlinge mitten im Nirgendwo wieder abgeladen, wird erzählt. Die Papiere von der Registrationsstelle erlauben den Flüchtlingen, innert drei Tagen Ungarn oder Kroatien zu erreichen.
Tag 2: Freitag, 19 Uhr
«Welcome to Serbia!»
Meldung via Helfer-Chat: Ein weiterer Zug ist an der mazedonischen Grenze angekommen. Flüchtlinge erreichen die erste Siedlung der Ortschaft zu Fuss. Die Busse warten bereits. Es regnet jetzt. Crnojevic, Bischoff und andere Helfer halten die Menschen an, nicht in private Fahrzeuge zu steigen. Immer wieder ein Willkommen: «As-salam alaykom». Dann und wann ein Lächeln. «Wa Alykom As-slam». Crnojevic trifft auf eine fünfköpfige Familie aus Syrien, die Kinder haben Fieber. Im geheizten Wagen werden sie mit Essen versorgt. Hektik. Eine Helferin beruhigt, als das Kleinste von ihnen zu weinen beginnt. Eine spanische Helferin, sichtlich überwältigt, beginnt zu weinen. Später fahren Helfer die Kinder zum Arzt, wo sie mit den Eltern übernachten. Diese Massnahme wäre von offizieller Seite her nicht vorgesehen gewesen. Ebenso wenig der Transport eines jungen Syrers, der kurz zuvor erzählt hat, dass seine ganze Familie vom IS getötet wurde. Die Helfergruppe nimmt ihn illegalerweise mit in die Stadt, die Polizei kontrolliert hier sowieso niemanden. Der junge Mann aus Syrien möchte weder etwas zu essen noch eine Pause einlegen, er möchte direkt weiter. Später steigt er in einen der Busse in Richtung Belgrad.
Tag 2: Freitag, 23 Uhr
Im Pub
Im Pub in der Stadt trifft sich die Helferschar nach getaner Arbeit zum Feierabendbier. «Hallo Schwitzer!» Morgen geht es wieder weiter. Albanische Lieder schallen durch den Raum. Schnaps wird aufgetischt. Man vergisst.
Tag 3: Samstag, 9 Uhr
Am Busbahnhof
Vanja Crnojevic ist vor allen anderen auf den Beinen. Sie schreibt per SMS: «Kommt zum Busbahnhof, es gibt zu tun hier.» Der Ort etwas ausserhalb des Dorfes dient zur Registrierung der Flüchtlinge. Hier in der Schlange hat die Gruppe ihr Zelt geplant. Rund um den Platz Busse und Taxis, in den anliegenden Cafés Männergruppen. Hektik. Crnojevic hat einem Mädchen Schuhe besorgt. «Ich kann nicht nichts tun.» Wohin man blickt, es wird Hilfe benötigt. Die Gruppe gerät kurz in Aufruhr. Bischoff sagt: «Wir dürfen die übergeordneten Ziele unseres Vereins nicht aus den Augen verlieren.»
Tag 3: Samstag, 11 Uhr
200 Portionen Reis
Die Schweizer haben bei einem pakistanischen Take-away direkt beim Busbahnhof 200 Portionen Reis bestellt. Aus dem Kofferraum eines Autos heraus verteilen die Helfer die Rationen. Bald scharen sich Männer um den Wagen und strecken die Hand aus, Helfer drängen sie zurück. Die Polizei mahnt, hier nicht die Strasse zu versperren. Es stinkt grässlich. Einer der Helfer sagt: «Heute ist es nicht so schlimm, du hättest die Situation hier vor zwei Wochen sehen sollen!» Man spricht über den drohenden Winter …
Tag 3: Samstag, 12 Uhr
Eine Schlägerei unter Flüchtlingen
In der etwa hundert Meter langen Schlange vor dem Registrierungsschalter auf dem offiziellen Camp der Stadt bricht eine Schlägerei aus. Afghanen und Syrer geraten aneinander. Es geht um Essen. Polizisten tanken sich mit Schlagstöcken durch die Menge. Die eben verteilten Wasserflaschen fliegen durch die Luft. Bischoff steht mittendrin, sie schildert die Situation später so: «Ich stand mitten im Handgemenge und wollte flüchten. Eine Frau hielt mich am Arm fest, neben ihr ein Kind. Sie weinte. Also blieb ich stehen und redete auf die Gruppen ein, bald bildete sich ein Korridor zwischen den verfeindeten Gruppen. Die Polizei stand daneben und tat nichts. Warum sie nichts täten, fragte ich. ‹Wir wollen nicht sterben›, sagte ein Polizist.»
Tag 3: Samstag, 20 Uhr
Säcke mit Essen
Wir treffen drei junge Mazedonier aus dem Thurgau. Die selbstständig arbeitenden Männer sind aus Eigeninitiative nach Serbien gereist. Crnejovic haben sie über Soziale Medien kennen gelernt. Die Thurgauer sagen: «Wir wissen selber wie es ist, auf der Flucht zu sein, deshalb helfen wir.» 5000 Euro haben sie eigenhändig in ihrem Freundeskreis gesammelt. Damit kaufen sie in Preševo 1000Essenssäcklein bei einem lokalen Händler. Kosten: 2000 Euro. In den Säcken: Aufstrich, Kiri-Käse, Schoggigipfel, Flips, Feuchttüchlein, Brot, Kekse, Eistee. Die drei jungen Männer schliessen sich ebenfalls der lokalen Helfergruppe an.
Tag 3: Samstag, 23.30 Uhr
Flüchtlinge im Hotel
Im einzigen Hotel im Ort nächtigen ebenfalls vereinzelt Flüchtlinge. 20Euro kostet ein Zimmer pro Nacht, dafür dürfen sie auch zu acht belegt werden. Der Besitzer, ein Schweizer mit albanischen Wurzeln, lebt halbjährlich in Preševo und halbjährlich in der Schweiz. Ebenso im Hotel untergebracht sind Simon und sein israelischer Freund Wisman, beide von Aarau die Balkanroute entlang angereist. An den Hotspots unterwegs haben sie Hand geboten. Doch: «So schlimm wie hier war es nirgends auf unserer Reise.» Tags darauf reisen beide wieder ab in Richtung Schweiz.
Tag 4: Sonntag, 16 Uhr
«Jeden Tag dasselbe»
Man werde heute etwas später mit arbeiten beginnen, sagt einer der Helfer. Weil es am Abend zuvor etwas spät geworden ist. «Wie gehts?» –«Jeden Tag dasselbe.» Die Helfer fahren zum Lebensmittelgeschäft und laden die Essenssäcke in drei Fahrzeuge. Der Händler kommt später mit an die Grenze, um das Essen zu verteilen.
Tag 4: Sonntag, 17 Uhr
Mit den Foodsäcken an die Grenze
Mitten in dieser überwältigend schönen Hügellandschaft herrscht an diesem Nachmittag Hochbetrieb. Am Wegrand Busse und Taxis, dazwischen Männergruppen und immer wieder Flüchtlingsgruppen, zügig voranschreitend in Richtung Stadt. Die Felder dazwischen sind mit Abfall übersät. Auf einer Naturstrasse, wenige Hundert Meter vor der Grenze, stehen serbische Militärpolizisten, über der Brust tragen sie Gewehre. Sie halten die privaten Taxis davon ab, bis an die Grenze vorzudringen. Vanja Crnojevic und eine Journalistin sprechen mit den Beamten, um Zutritt zum mazedonischen Camp zu erhalten. Ein Topf Bohnensuppe am nächsten Tag für alle hier stationierten Militärs und einige Zigaretten reichen – dann erhalten sie Einlass. Crnojevic kommt mit einer Liste mit Gütern zurück, die im Camp benötigt werden. Derweil provozieren ansässige Jugendliche und Schlepper die freiwilligen Helfer. Die Situation ist aufgeheizt.
Tag 4: Sonntag, 20 Uhr
Kampf um Gerechtigkeit
Zurück von der Grenze passieren wir Dutzende Busse. Eine Journalistin aus Belgrad notiert sich die Busgesellschaften, die hier Geschäfte machen, um sie später auf der Website Balkan Insight zu veröffentlichen. Es ist ein beharrlicher Kampf um Gerechtigkeit an diesem vergessenen Ort. Bischoff sagt: «Es ist ein Kampf gegen Windmühlen.»
Über dem Bodensee
Die Swiss-Maschine von Skopje nach Zürich kreist über dem Bodensee. In der Luft herrscht Stau. Die Sonne scheint, am Boden sind Felder und Dörfer zu sehen. Eine Ahnung von unwirklicher Ordnung.
Tag 6: Mittwoch, 14 Uhr
Zurück in Zürich
Telefon mit Sonia Bischoff. Sie sei erschöpft, mit der Arbeit vor Ort aber zufrieden. Bischoff möchte nicht so schnell wieder nach Preševo fahren. Crnojevic fliegt in ein paar Wochen wieder.
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Essensrationen verteilen an der Grenze in Preševo, initiiert von privaten Organisationen.
An der Grenze
Im Süden Serbiens kommen täglich 2000 Flüchtlinge an. Zwei Zürcherinnen wollen helfen. Direkt und vor Ort. Ein Tagebuch. – Fotos: David Sarasin
Redaktor / Autor: David Sarasin, Tages-Anzeiger
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Sie würden dort einspringen, wo Behörden vor Ort versagten. Das sagen Sonia Bischoff und Vanja Crnojevic, beide im Vorstand der privaten Zürcher Initiative Borderfree Association. Ziel ihrer Reise in den Süden Serbiens: Zelte aufstellen, um den Menschen in den Schlangen Schutz zu bieten. Ein Haus für Helfer ist bereits gemietet, noch fehlen darin die Betten. Zudem wollen Bischof und Crnojevic Kontakte zu Helfern vor Ort knüpfen. Wir begleiten sie auf ihrer Reise ins Krisengebiet.
Tag 1: Dienstag, 19 Uhr
T-Shirts und Spenden
Ein Büroraum an der Zentralstrasse, Neonlicht, Schultische, Flipchart. Die Frauen des Vereins Borderfree Association treffen sich zum letzten Mal vor der Reise. Es geht zunächst um Vereinskram wie Mitgliederbeiträge und den anstehenden T-Shirt-Verkauf. Dann wird die Reise nach Preševo im Süden Serbiens behandelt. Die Situation vor Ort sei schwierig, sagt Crnojevic, sie war vor drei Wochen bereits im Grenzgebiet Mazedonien/Serbien. Die Camps seien überfüllt, die Helfer überfordert, sagt sie. «Und es gibt Schlepper.»
Tag 2: Freitag, 12 Uhr
Am Flughafen
«Ich mache die Dinge ohne nachzudenken, sonst würde ich es gar nicht machen», sagt Vanja Crnojevic am Flughafen Zürich. Nach zwei Stunden Flug sind wir in Skopje, Mazedonien. Bei unserer Ankunft fällt eine Werbung von Air Pristina, auf, darauf der St. Peter und die Zürcher Altstadt. «Jetzt seid ihr die Ausländer», sagt Crnojevic. Ein lokaler Helfer holt uns am Flughafen ab. Nach rund 30Minuten Fahrt auf der Autobahn erreichen wir Preševo, Serbien.
Tag 2: Freitag, 14 Uhr
Im Büro der lokalen Helfer
Kurz nach der Autobahnabfahrt werden die Strassen schlecht. Man sagt, die 30’000 Einwohner Preševos leben weitgehend von Geldern ihrer Verwandten in der Schweiz. Was auffällt: Die Leute hier sind bewandert in Schweizer Geografie. Sargans, Stallikon, Bassersdorf, Ziegelbrücke, alles bekannt. Viele sprechen Brockenweise Dialekt. Nach zahlreichen umkurvten Schlaglöchern landen wir vor einem Pub. Es ist freundlich eingerichtet und erinnert mit seiner Holzauskleidung an ein Chalet. Im Restaurant treffen wir auf drei lokale Helfer von Youth for Refugees, sie sind Teil einer Gruppe aus rund 30 ansässigen freiwilligen Helfern. In ihrem Büro auf der anderen Strassenseite stapeln sich mehrere Tausend Decken, gespendet von der UNHCR.
Täglich fährt die Gruppe zu den Hotspots, an die sechs Kilometer entfernt liegende Grenze, oder zur Registrationsstelle beim Busbahnhof etwas ausserhalb des Ortes. Dort verteilen sie Decken und Essen, begrüssen die Flüchtlinge und leiten sie notfalls an einen Arzt weiter. Die Zürcherin Bischoff ist sich nach der Diskussion mit den Helfern sicher, in Youth for Refugees die richtigen Partner gefunden zu haben. Der Knackpunkt: Die Gruppe möchte demonstrieren, nicht korrupt zu sein – und nimmt daher kein Geld an. Argon, ein studierter Grafikdesigner aus Preševo, sagt: «Seit hier Flüchtlingskrise herrscht, sitzen wir weniger rum und trinken auch weniger Bier.» Mehr noch, die Leute hier scheinen gut organisiert. 80 Prozent der rund 30’000 Menschen in Preševo sind arbeitslos, viele von ihnen sind vor 15 Jahren vor den Bomben der Nato geflüchtet.
Tag 2: Freitag, 15 Uhr
Beim Stadtpräsidenten
Das Treffen mit dem Gemeindepräsidenten Ragmi Mustafa steht an. Er ist der Cousin des grössten Investors in der Gegend, informiert man uns später. Mustafa beklagt sich, dass es generell an Infrastruktur fehle, um den Flüchtlingen zu helfen, und dass seine ganze Geldreserve aufgebraucht sei. In einem von ihm verfassten Bittbrief an die UNO sind zudem fehlende Wasserpumpen, Abfallcontainer und Müllwagen aufgeführt. Man ahnt die Zustände im Camp beim Busbahnhof, wo täglich 1000 Flüchtlinge durchgeschleust werden. Crnojevic spricht den Stadtpräsidenten auf ihr Vorhaben an, ein Zelt zu bauen. Er könne das nicht selber entscheiden, sagt er, was sich später als falsch herausstellt. «Wir sollten ihn jetzt unter Druck setzen», meint Bischoff. Von Leuten im Pub erfahren wir später, dass zwar Geld aus Belgrad fliesse, aber im aufgeblasenen bürokratischen Apparat oder sonst wo versickert. Andere wiederum sagen: Die serbische Regierung untersagt der hauptsächlich von Albanern besiedelten Region im Süden die Hilfe. Die Lage ist verworren.
Tag 2: Freitag, 17 Uhr
Hilfe an der Grenze
Crnojevic ist mit einem Helferzug unterwegs an die Grenze. In den Strassengräben sammelt sich der Müll, Busse verkehren im Sekundentakt. Die Fahrer warteten darauf, die ankommenden Flüchtlinge die wenigen Kilometer bis nach Preševo zu fahren. Bis zu 40 Euro knüpfen sie den Gestrandeten für die sechs Kilometer ab. Auch Privatpersonen sind mit ihren Fahrzeugen vor Ort, sie wittern ebenfalls ein Geschäft. Nicht selten würden die Flüchtlinge mitten im Nirgendwo wieder abgeladen, wird erzählt. Die Papiere von der Registrationsstelle erlauben den Flüchtlingen, innert drei Tagen Ungarn oder Kroatien zu erreichen.
Tag 2: Freitag, 19 Uhr
«Welcome to Serbia!»
Meldung via Helfer-Chat: Ein weiterer Zug ist an der mazedonischen Grenze angekommen. Flüchtlinge erreichen die erste Siedlung der Ortschaft zu Fuss. Die Busse warten bereits. Es regnet jetzt. Crnojevic, Bischoff und andere Helfer halten die Menschen an, nicht in private Fahrzeuge zu steigen. Immer wieder ein Willkommen: «As-salam alaykom». Dann und wann ein Lächeln. «Wa Alykom As-slam». Crnojevic trifft auf eine fünfköpfige Familie aus Syrien, die Kinder haben Fieber. Im geheizten Wagen werden sie mit Essen versorgt. Hektik. Eine Helferin beruhigt, als das Kleinste von ihnen zu weinen beginnt. Eine spanische Helferin, sichtlich überwältigt, beginnt zu weinen. Später fahren Helfer die Kinder zum Arzt, wo sie mit den Eltern übernachten. Diese Massnahme wäre von offizieller Seite her nicht vorgesehen gewesen. Ebenso wenig der Transport eines jungen Syrers, der kurz zuvor erzählt hat, dass seine ganze Familie vom IS getötet wurde. Die Helfergruppe nimmt ihn illegalerweise mit in die Stadt, die Polizei kontrolliert hier sowieso niemanden. Der junge Mann aus Syrien möchte weder etwas zu essen noch eine Pause einlegen, er möchte direkt weiter. Später steigt er in einen der Busse in Richtung Belgrad.
Tag 2: Freitag, 23 Uhr
Im Pub
Im Pub in der Stadt trifft sich die Helferschar nach getaner Arbeit zum Feierabendbier. «Hallo Schwitzer!» Morgen geht es wieder weiter. Albanische Lieder schallen durch den Raum. Schnaps wird aufgetischt. Man vergisst.
Tag 3: Samstag, 9 Uhr
Am Busbahnhof
Vanja Crnojevic ist vor allen anderen auf den Beinen. Sie schreibt per SMS: «Kommt zum Busbahnhof, es gibt zu tun hier.» Der Ort etwas ausserhalb des Dorfes dient zur Registrierung der Flüchtlinge. Hier in der Schlange hat die Gruppe ihr Zelt geplant. Rund um den Platz Busse und Taxis, in den anliegenden Cafés Männergruppen. Hektik. Crnojevic hat einem Mädchen Schuhe besorgt. «Ich kann nicht nichts tun.» Wohin man blickt, es wird Hilfe benötigt. Die Gruppe gerät kurz in Aufruhr. Bischoff sagt: «Wir dürfen die übergeordneten Ziele unseres Vereins nicht aus den Augen verlieren.»
Tag 3: Samstag, 11 Uhr
200 Portionen Reis
Die Schweizer haben bei einem pakistanischen Take-away direkt beim Busbahnhof 200 Portionen Reis bestellt. Aus dem Kofferraum eines Autos heraus verteilen die Helfer die Rationen. Bald scharen sich Männer um den Wagen und strecken die Hand aus, Helfer drängen sie zurück. Die Polizei mahnt, hier nicht die Strasse zu versperren. Es stinkt grässlich. Einer der Helfer sagt: «Heute ist es nicht so schlimm, du hättest die Situation hier vor zwei Wochen sehen sollen!» Man spricht über den drohenden Winter …
Tag 3: Samstag, 12 Uhr
Eine Schlägerei unter Flüchtlingen
In der etwa hundert Meter langen Schlange vor dem Registrierungsschalter auf dem offiziellen Camp der Stadt bricht eine Schlägerei aus. Afghanen und Syrer geraten aneinander. Es geht um Essen. Polizisten tanken sich mit Schlagstöcken durch die Menge. Die eben verteilten Wasserflaschen fliegen durch die Luft. Bischoff steht mittendrin, sie schildert die Situation später so: «Ich stand mitten im Handgemenge und wollte flüchten. Eine Frau hielt mich am Arm fest, neben ihr ein Kind. Sie weinte. Also blieb ich stehen und redete auf die Gruppen ein, bald bildete sich ein Korridor zwischen den verfeindeten Gruppen. Die Polizei stand daneben und tat nichts. Warum sie nichts täten, fragte ich. ‹Wir wollen nicht sterben›, sagte ein Polizist.»
Tag 3: Samstag, 20 Uhr
Säcke mit Essen
Wir treffen drei junge Mazedonier aus dem Thurgau. Die selbstständig arbeitenden Männer sind aus Eigeninitiative nach Serbien gereist. Crnejovic haben sie über Soziale Medien kennen gelernt. Die Thurgauer sagen: «Wir wissen selber wie es ist, auf der Flucht zu sein, deshalb helfen wir.» 5000 Euro haben sie eigenhändig in ihrem Freundeskreis gesammelt. Damit kaufen sie in Preševo 1000Essenssäcklein bei einem lokalen Händler. Kosten: 2000 Euro. In den Säcken: Aufstrich, Kiri-Käse, Schoggigipfel, Flips, Feuchttüchlein, Brot, Kekse, Eistee. Die drei jungen Männer schliessen sich ebenfalls der lokalen Helfergruppe an.
Tag 3: Samstag, 23.30 Uhr
Flüchtlinge im Hotel
Im einzigen Hotel im Ort nächtigen ebenfalls vereinzelt Flüchtlinge. 20Euro kostet ein Zimmer pro Nacht, dafür dürfen sie auch zu acht belegt werden. Der Besitzer, ein Schweizer mit albanischen Wurzeln, lebt halbjährlich in Preševo und halbjährlich in der Schweiz. Ebenso im Hotel untergebracht sind Simon und sein israelischer Freund Wisman, beide von Aarau die Balkanroute entlang angereist. An den Hotspots unterwegs haben sie Hand geboten. Doch: «So schlimm wie hier war es nirgends auf unserer Reise.» Tags darauf reisen beide wieder ab in Richtung Schweiz.
Tag 4: Sonntag, 16 Uhr
«Jeden Tag dasselbe»
Man werde heute etwas später mit arbeiten beginnen, sagt einer der Helfer. Weil es am Abend zuvor etwas spät geworden ist. «Wie gehts?» –«Jeden Tag dasselbe.» Die Helfer fahren zum Lebensmittelgeschäft und laden die Essenssäcke in drei Fahrzeuge. Der Händler kommt später mit an die Grenze, um das Essen zu verteilen.
Tag 4: Sonntag, 17 Uhr
Mit den Foodsäcken an die Grenze
Mitten in dieser überwältigend schönen Hügellandschaft herrscht an diesem Nachmittag Hochbetrieb. Am Wegrand Busse und Taxis, dazwischen Männergruppen und immer wieder Flüchtlingsgruppen, zügig voranschreitend in Richtung Stadt. Die Felder dazwischen sind mit Abfall übersät. Auf einer Naturstrasse, wenige Hundert Meter vor der Grenze, stehen serbische Militärpolizisten, über der Brust tragen sie Gewehre. Sie halten die privaten Taxis davon ab, bis an die Grenze vorzudringen. Vanja Crnojevic und eine Journalistin sprechen mit den Beamten, um Zutritt zum mazedonischen Camp zu erhalten. Ein Topf Bohnensuppe am nächsten Tag für alle hier stationierten Militärs und einige Zigaretten reichen – dann erhalten sie Einlass. Crnojevic kommt mit einer Liste mit Gütern zurück, die im Camp benötigt werden. Derweil provozieren ansässige Jugendliche und Schlepper die freiwilligen Helfer. Die Situation ist aufgeheizt.
Tag 4: Sonntag, 20 Uhr
Kampf um Gerechtigkeit
Zurück von der Grenze passieren wir Dutzende Busse. Eine Journalistin aus Belgrad notiert sich die Busgesellschaften, die hier Geschäfte machen, um sie später auf der Website Balkan Insight zu veröffentlichen. Es ist ein beharrlicher Kampf um Gerechtigkeit an diesem vergessenen Ort. Bischoff sagt: «Es ist ein Kampf gegen Windmühlen.»
Über dem Bodensee
Die Swiss-Maschine von Skopje nach Zürich kreist über dem Bodensee. In der Luft herrscht Stau. Die Sonne scheint, am Boden sind Felder und Dörfer zu sehen. Eine Ahnung von unwirklicher Ordnung.
Tag 6: Mittwoch, 14 Uhr
Zurück in Zürich
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