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Bericht und Meinung von Rolf, Borderfree-Freiwilliger in Presevo, Bujanovac und Vranje:

Von vielen Seiten werde ich immer wieder auf die Stellung der Frauen im Camp und deren Entwicklung angesprochen. Durch die Vermischung der Kulturen, der besonderen Lebenssituation und der westlich-europäischen Einflüsse der anwesenden Organisationen hat sich tatsächlich einiges verändert.

Eine solche Beurteilung erlaube ich mir unter Bezugnahme auf meine persönliche Vorstellung des traditionellen Rollenbildes in den Herkunftsländern der Menschen.

Einige Frauen versuchen mit oder ohne Einflussnahme ihrer Ehemänner die gewohnte Trennung der Geschlechter aufrecht zu erhalten. Der überwiegende Anteil der Frauen, die unsere Unterrichtslektionen besuchen, findet unsere Vorstellung von Durchmischung aber offenbar wenig problematisch und gibt sich durchaus unserem gewohnten Miteinander hin. Obwohl der Händedruck weiterhin ein heikles Thema bleibt, verstehen ihn viele als europäischen Ausdruck der Höflichkeit und schrecken nicht davor zurück einer männlichen Lehrperson die Hand zur Begrüssung zu reichen. Selbst Sprachübungen und Spiele mit Männern aus einer anderen Kultur sind für viele zur Gewohnheit geworden. Obschon sich zahlreiche Frauen dadurch mit kleinen Schritten zu öffnen wagen und einige von ihnen sogar mit einem gestärkten Rücken erstaunliche Entscheidungen fällen, gibt es nach wie vor Frauen, die sich vehement für den Besuch und die Teilnahme an unseren Programmen einsetzen müssen. Dafür gibt es verschiedene Gründe, wovon nicht alle ausschliesslich vom männlichen Familienoberhaupt ausgehen.

Viele Frauen haben aufgrund ihrer Stellung überhaupt nie das Lesen und Schreiben ihrer eigenen Muttersprache erlernt. Unsere Organisation hat zu diesem Zweck vor einigen Wochen sogenannte ABC-Klassen zur Alphabetisierung eingeführt. Zudem erachten es viele Frauen aufgrund ihrer kulturellen Herkunft als prioritär, sich um die Kinder und den kleinen Haushalt zu kümmern, ein Schulbesuch kommt nur hie und da vor.

Die wenig stichhaltigen, aber durchaus verständlichen Argumente der Männer ihren Ehefrauen den Unterrichtsbesuch zu untersagen, rühren meist von „falschem“ Stolz. Nicht selten besuchen beide Ehepartner den Sprachunterricht und oftmals spricht die Frau schneller und besser Englisch oder Deutsch. Die männliche Frustration und die Angst vor einem Gesichtsverlust ist gross. Ohne den Versuch die Vorbehalte der Männer zu verteidigen, braucht es für ein besseres Verständnis auch einen Blick auf die Lebensrealität der Familien. Traditionell übernimmt der Vater die Funktion des Ernährers. Angesichts der Umstände und der fehlenden Beschäftigungsmöglichkeiten in den Camps ist dies nicht wirklich möglich. Ganz im Gegenteil, denn bereits zum heutigen Zeitpunkt verdienen in manchen Familien die Frauen mit Einsätzen im Beautysalon, in der Kantine oder der Wäscherei einen wichtigen Zustupf von monatlich 40 Euro für die Familie dazu.

So sehr mich diese Frau auch beeindruckt, die sich mittlerweile ihres Kopftuches und ihres Ehemannes entledigt hat, sich gerne figurbetont kleidet und sich selbst für das Fussballtraining fein herausputzt, so muss ich auch akzeptieren, dass sich andere Frauen und ihre Männer davor fürchten, dass die eigenen Kinder durch den Umgang mit der mutigen Frau vom «richtigen Weg» abkommen könnten.

Bis nach Europa ist es damit nicht nur geografisch ein weiter Weg. Die Rollenverteilung wird und muss sich in der kommenden Zeit immer wieder erneuern. Als Organisation und Freiwillige dürfen wir dabei einzig unsere Sicht der Dinge und deren Entstehung erklären. Für viele Menschen im Camp ist die Stellung der Frau nämlich nicht einfach gott- oder kulturgegeben. Mit schnellen Urteilen, Schuldzuweisungen und falschen Regeln stossen wir eine Mehrheit damit aber vor den Kopf und verhindern eine selbständige Reflexion und eine eigenmächtige Entscheidung der Frau über ihre Funktion und die Rolle in ihrer Umgebung.