Hier für euch ein Einblick in den Einsatz von Esther Moll-Thissen, die mit Petra Burri für uns in Presevo war
„Zurück in der Schweiz… es sind erst einige Tage und doch fühlt es sich an, als wäre eine Ewigkeit vergangen. Aber genau das gleiche Gefühl hatte ich auch schon am zweiten Tag in Presevo… als wäre ich schon eine Ewigkeit da. So viele tolle Menschen, die ich in so kurzer Zeit kennen lernen durfte – und von Tag zu Tag wurden es mehr. Kurze Momente, ein Lächeln, ein Blick, ein Gespräch, eine Umarmung, ein Augenblick… und alles verändert sich.
Immer wieder denke ich an die 7 Tage zurück und weiss nicht, welches das emotionalste, schönste oder ergreifendste Erlebnis war. Jede einzelne Begegnung hat mich bereichert und berührt, und ich hoffe sehr, dass es auch meinem Gegenüber ein bisschen so ergangen ist.
Ich denke zurück an die junge Frau, die so gerne meinen BH haben wollte, weil ihrer kaputt war und sie sich ohne unwohl fühlte, und den sie bei einer kleinen Umziehaktion im Toilettencontainer natürlich auch von mir bekommen hat.
Oder dieser junge irakische Fussballspieler, der in der kalten Nacht alleine am Feuer kauerte und sich niemandem aufdrängen wollte. Petra hatte ihn mir beim Schichtwechsel vorgestellt und gebeten, mich ein bisschen um ihn zu kümmern. Es tat mir Leid, dass er diese schwierige und gefährliche Reise ganz alleine bewältigen musste – ich gesellte mich zu ihm ans Feuer und nach einem kurzen Augenblick war das Eis zwischen uns gebrochen. Mit ganz lieben Augen und einem verschmitzten Lächeln sagte er, dass ich mir sein Gesicht gut merken soll, eines Tages werde ich ihn im TV wiedersehen, weil er dann für Bayern München Fussball spielen wird. Ich besorgte ihm einen Schlafplatz in einem unserer geheizten Zelte und dachte nicht, dass ich ihn noch einmal wieder sehen würde, da meine Schicht morgens um 6 Uhr endete – aber der Willkür der serbischen Eisenbahn habe ich es zu verdanken, dass ich ihn am nächsten Abend nochmals traf. Wir Freiwilligen waren alle am Bahnhof um sicher zu stellen, dass alle Mitreisenden gut und sicher in den Zug kamen, als ich ihn in einem Fenster entdeckte und er mich. Gegen den Strom lief er zur nächsten Tür sprang aus dem Zug und umarmte mich mit einem breiten Lächeln, wir freuten uns beide uns wieder zu sehen.
Zwei Menschen, zwei Welten, zwei Leben – eine Umarmung und grosse Freude über den gemeinsamen Moment.
Und dann war da noch Ahmed…in einer Nacht kam er mir in einem quitschgelben Adidas-Trainer entgegen und wir grüssten uns. Wenig später traf ich ihn wieder. Am Ausgang des Camps stand ich inmitten einer Gruppe von ca. 50 Syrern und probierte ihnen mit Händen und Füssen zu erklären, welche Möglichkeiten sie haben weiter nach Kroatien zu kommen, als dieser gelbe Hüne mich in perfektem Deutsch fragte: Sprichst Du auch Deutsch? Ich musste lachen, mit einem Übersetzer wie Ahmed ging alles natürlich viel einfacher. Ahmed war in Deutschland gross geworden und vor vielen vielen Jahren mit seinen Eltern zurück nach Syrien gegangen… nun war er ganz alleine auf der Flucht – zurück nach Deutschland, zurück in seine alte Heimat. Seine Mitreisenden hatten sich ihm auf diesem schwierigen Weg in eine neue Zukunft angeschlossen. Sie vertrauten ihm. Wahrscheinlich auch, weil er ihnen sagen konnte wie es da ist, am Ende der Reise – am Ziel in Deutschland. Ahmed ist inzwischen gut und sicher in Deutschland angekommen, und wir sind regelmässig in Kontakt.
In meiner letzten Nachtschicht am Donnerstag fand ich zwei junge Frauen mit ihren 6 Kindern am Ausgang des Camps – es regnete und es war sehr kalt. Die zwei ältesten Kinder lagen auf dem nackten Asphaltboden nur mit einer Wolldecke zugedeckt und schliefen… Die Mütter und die übrigen Kinder kauerten zusammen auf einer kleinen Bank. Sie waren erschöpft, durchnässt und froren, ich sprach sie an. Wie sich herausstellte, hatten sie weder das Geld für den Bus nach Sid (serbisch-kroatische Grenze), noch für den Zug, der auch erst um 10 Uhr wieder fahren sollte, wenn er dann überhaupt fuhr. Als ich ihnen sagte, dass sie ohne Geld nicht nach Kroatien gelangen würden, brachen die Mütter in Tränen aus und wimmerten dabei ganz heftig… solche Momente brachen mir immer wieder das Herz. Ich überredete sie erst einmal mit in unser Zelt zu kommen und sich aufzuwärmen. Dank unseren Funkgeräten konnte ich meinen Kollegen im Zelt Bescheid geben, so dass Lukas bereits ein tolles Schlaflager für „meine Familien“ vorbereitet hatte. Nach einer kurzen Absprache mit meinen Kollegen beschlossen wir, dass Petra und ich für die Transportkosten der Familie aufkommen würden, schliesslich hatten wir von unseren Familien und Freunden einen grossen Betrag an Spendengeldern dabei, die ja auch für solche Notsituationen gedacht waren. Ich überbrachte den beiden Frauen die gute Nachricht, und sie konnten gar nicht mehr aufhören mir zu danken und küssten und umarmten mich immer wieder – solche Momente werden für mich immer unvergesslich bleiben. Als meine Schicht zu Ende war, habe ich „meine Familien“ in die liebevolle Obhut von Petra übergeben, die an diesem Tag die Frühschicht hatte.
Alle diese Menschen sind wie Du und ich, sie haben Träume und Ziele wie Du und ich und doch gibt es da diesen winzig kleinen Unterschied, der über Leben und auch Tod entscheidet…sie sind in einem anderen Land zur Welt gekommen.
Ich bin unheimlich dankbar für die Zeit die ich in Presevo verbringen durfte. Wir waren ein tolles Team von Freiwilligen – wir haben uns als Fremde kennen gelernt und uns als Freunde verabschiedet. Ich komme gerne wieder.“
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