fbpx

Wir werden statt des Tagebuchs von Vanja Crnojević, Geschäftsführerin und Gründerin von Borderfree Association, die bewegenden Geschichten von drei Jungen erzählen. Etwas länger als gewohnt, dafür umso wichtiger.

Omid* aus Afghanistan, 16 Jahre alt, «Ich wünsche mir sehnlichst, dass mir meine Familie verzeiht.»

Omid ist ein kräftig gewachsener Junge aus Afghanistan, welcher uns wohl die erschütterndste Geschichte bis jetzt erzählt. Wir treffen ihn im Park, beim Busbahnhof in Belgrad, Serbien.

Omid lebt auf der Strasse

Er erzählt uns langsam, aber mit viel Geduld, seine bedrückende Lebensgeschichte. Omid ist einerseits ein niedlicher und anständiger Junge. Andererseits ist er ängstlich und nervös. Seine Unterarme sind übersäht von Narben. Omid erklärt uns, dass er sich mehrmals selber verletzt hat, als er vor Leid, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung wegen allem, was er durchlebt hat, nicht mehr weiter wusste. Zurzeit hat Omid keinen festen Wohnsitz. Manchmal übernachtet er in den Flüchtlingscamps, aber meistens verweilt er in verlassenen Gebäuden. Um sich mit Essen und anderen Notwendigkeiten zu versorgen, verkauft er seinen Körper für Geld. Dies nennt er «Work». Seine Dienstleistungen nehmen meistens ältere Männer, vor allem Landsleute von ihm, welche zurzeit auch in Serbien sind, in Anspruch. Er macht das nicht gerne, aber es ist das einzige, was er momentan kann. Er wünscht sich, eines Tages Schneider oder Gärtner zu werden.

Homosexuell und verstossen

Omid ist homosexuell. Deswegen wurde er von seiner gesamten Familie verstossen. In Afghanistan leben seine Eltern mit seinen sechs Geschwistern. Er erzählt wenig von seiner Familie, es fällt ihm sehr schwer darüber zu sprechen. Von seiner Familie verstossen, irrte er einige Zeit in Afghanistan herum. Er wollte sich einen Job suchen und ein neues Leben aufbauen, jedoch ohne Erfolg. Er versuchte zu seinen Eltern zurückzukehren, aber seine Familie lehnte ihn mit den Worten: «Für dich gibt es keinen Platz mehr in unserer Familie» ab. In den Augen seiner Familie hat Omid ihnen viel Schande zugefügt. Sie sagten ihm, er solle vor Schande und Schamgefühl sterben. Omid erwähnt, dass er nur zwei Jahre lang die Schule besuchte. In der Hoffnung, in Europa wegen seiner sexuellen Ausrichtung nicht mehr geplagt und bedroht zu werden, macht er sich auf den Weg. Er hoffte auf ein normales Leben, er wollte zur Schule und arbeiten. Doch Omid fand bisher auch in Europa nicht sein Glück. Er wurde auch in Serbien wegen seiner Homosexualität verstossen und in Bulgarien und in der Türkei hatte er deswegen auch grosse Probleme. Er wurde sexuell und körperlich grauenhaft misshandelt.

Misshandelt in den Flüchtlingscamps

Auch in den Flüchtlingscamps litt er stets unter grosser Verachtung und Misshandlungen, sobald man von seiner Homosexualität erfuhr. Morddrohungen, Messerangriffe und Beleidigungen gehören zu Omids Alltag. Er vertraut sich uns an und gesteht uns, dass er wegen seinem Leid oft bis tief in die Nacht weint. Omid will einfach akzeptiert und respektiert werden. Er sehnt sich so sehr nach Freunden. Er erwähnt immer wieder, dass er in jedem Flüchtlingscamp bisher sexuell und psychisch misshandelt wurde. Auch seit er in Serbien ist, unzählige Male. Die Informationen innerhalb der Flüchtlingsgruppen in Serbien verbreiten sich schnell. So wurde Omid bereits beim Eintritt in ein Camp stigmatisiert und misshandelt. Deshalb geht Omid gar nicht mehr in die Camps, denn Drohungen und Misshandlungen sind vorprogrammiert. Im Flüchtlingscamp wurde Omid von drei männlichen Afghanen vergewaltigt. Er trat mit einer Organisation in Verbindung, diese gab die Misshandlung der Polizei weiter. Die Männer wurden aber nicht verhaftet. Omid weint während unserem Gespräch und kratzt seine bereits verletzten Unterarme immer mehr auf. Er meint, es geht ihm trotz allem besser, weil er uns seine Geschichte erzählen darf. Omid hat keine Kraft mehr zu kämpfen. Er ist entschlossen, auf der Strasse zu leben und sich irgendwie zurecht zu finden. Er meint, besser so, als sich erneut mit den Misshandlungen in den Flüchtlingscamps zu konfrontieren.

Omid wünscht sich ein sicheres und ruhiges Leben

Trotz allem hofft er, bald in die Schule gehen zu können, um seinem Leben so einen Sinn zu geben. Er möchte schneidern, nähen oder singen. Auch die Gärtnerei interessiert ihn. Er ist traurig, dass niemand seine anderen Seiten sieht. Dass er auch ein guter Freund sein kann, dass er Filme, Musik und Blumen mag. Niemand sieht, dass auch er gerne kocht und sich gerne mit Menschen trifft und plaudert. Es fehlt ihm sehr, mit jemanden zu sprechen und er fühlt sich sehr einsam. Niemand sieht Omid als einen Menschen, alle sehen nur seine Homosexualität. Trotz allem, sagt Omid, dass er in Serbien auch gute Menschen getroffen hat. Gute Menschen aus Organisationen, die ihm geholfen haben. Er würde gerne mehr Zeit mit ihnen verbringen, denn sie waren wie Freunde für ihn und haben ihm geholfen. Aber leider genügt dies nicht. Alle schlechten Dinge, alle Drohungen und Misshandlungen wiederholen sich immer wieder. Im restlichen Gespräch erzählt uns Omid mehr über Afghanistan, die Musik und den Koran. Und weshalb es wichtig ist, dass man ein guter Mensch ist. Omid möchte einfach ein sicheres und ruhiges Leben. Er möchte Freunde finden, welche zu ihm stehen. Er wünscht sich sehnlichst, dass ihm seine Familie verzeiht.

*Um die Identität des Kindes zu schützen, wurde der Name geändert.

Hier gehts zu allen Porträts der Flüchtlingskinder: Porträts Flüchtlingskinder

Für Kinder wie Omid wollen wir das Kinderheim House of Rescue eröffnen – dafür brauchen wir aber eure Unterstützung. Helft uns mit Spenden.